Mittwoch, 4. Januar 2023

Von den zwölf Monaten

 

Es war eine Mutter, und die hatte zwei Töchter; die eine war ihre eigne, die andere ihre Stieftochter. Die eigne Tochter hatte sie sehr lieb, die Stieftochter konnte sie nicht einmal ansehen, bloß darum, weil Maruschka schöner war, als Holena. Die gute Maruschka wusste von ihrer Schönheit nichts; sie konnte sich gar nicht erklären, warum die Mutter so böse sei, so oft sie sie ansehe. Alle Arbeit musste sie selbst verrichten: die Stube aufräumen, kochen, waschen, nähen, spinnen, weben, Gras zutragen und die Kuh allein besorgen. Holena putzte sich nur und ging müßig. Aber Maruschka arbeitete gern, war geduldig, und ertrug das Schelten, das Fluchen der Schwester und Mutter wie ein Lamm. Allein dies half nichts, sie wurden von Tag zu Tag schlimmer, und zwar bloß darum, weil Maruschka je länger, desto schöner, Holena desto garstiger ward. Die Mutter dachte: »Wozu sollt' ich die schöne Stieftochter im Hause leiden, wenn meine eigene Tochter nicht auch so ist? Die Bursche werden auf Brautschau kommen Maruschka wird ihnen gefallen, Holena werden sie nicht haben wollen!« Von diesem Augenblicke an suchten sie der armen Maruschka loszuwerden; sie quälten sie mit Hunger, sie schlugen sie, doch sie ertrug's geduldig und ward von Tag zu Tag schöner. Sie ersannen Qualen, wie sie braven Menschen gar nicht in den Sinn gekommen wären.

Eines Tages – es war in der Mitte des Eismonats – wollte Holena Veilchen haben.

 »Geh', Maruschka, bring' mir aus dem Walde einen Veilchenstrauß! Ich will ihn hinter den Gürtel stecken und an ihn riechen!« befahl sie der Schwester.

»Ach Gott, liebe Schwester, was fällt Dir bei! Hab' nie gehört dass unter dem Schnee Veilchen wüchsen,« versetzte das arme Mädchen.

»Du nichtsnutziges Ding, Du Kröte, Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich wirst Du in den Wald gehen, und bringst Du keine Veilchen, so schlag' ich Dich tot!« drohte Holena.

Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Thür hinaus, und schloss diese hinter ihr. Das Mädchen ging bitter weinend in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Die Arme irrte, irrte lange. Hunger plagte sie. Kälte schüttelte sie; sie bat Gott, er möchte sie lieber aus der Welt nehmen. Da gewahrt sie in der Ferne ein Licht. Sie geht dem Glanze nach und kommt auf den Gipfel eines Berges. Auf dem Gipfel brannte ein großes Feuer, um das Feuer lagen zwölf Steine, auf den Steinen saßen zwölf Männer. Drei waren graubärtig, drei waren jünger, drei waren noch jünger, und die drei jüngsten waren die schönsten. Sie redeten nichts, sie blickten still in das Feuer. Die zwölf Männer waren die zwölf Monate. Der Eismonat saß obenan; der hatte Haare und Bart weiß wie Schnee. In der Hand hielt er einen Stab, Maruschka erschrak, und blieb eine Weile verwundert stehen; dann aber fasste sie Mut, trat näher und bat:

»Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, Kälte schüttelt mich!«

Der Eismonat nickte mit dem Haupte und fragte sie: »Weshalb bist Du hergekommen, Mädchen? Was suchst Du hier?«

»Ich suche Veilchen,« antwortete Maruschka.

»Es ist nicht an der Zeit, Veilchen zu suchen, wenn Schnee liegt,«  sagte der Eismonat.

»Ich weiß wohl,« entgegnete Maruschka traurig, »allein Schwester Holena und die Stiefmutter haben mir befohlen, Veilchen aus dem Walde zu bringen; bring' ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, Ihr Hirten, sagt mir, wo ich deren finde?«

Da erhob sich der Eismonat, schritt zu dem jüngsten Monat, gab ihm den Stab in die Hand, und sprach: »Bruder März, setz' Dich obenan!«

Der Monat März setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. In dem Augenblicke loderte das Feuer höher, der Schnee begann zu tauen, Bäume trieben Knospen, unter den Buchen grünte Gras, in dem Grase keimten bunte Blumen und es war Frühling. Unter Gesträuch verborgen blühten Veilchen, und eh' sich Maruschka dessen versah, gab es ihrer so viele, als ob wer ein blaues Tuch ausgebreitet hätte.

»Schnell, Maruschka, pflücke!« gebot der März.

Maruschka pflückte freudig, bis sie einen großen Strauß beisammen hatte. Dann dankte sie den Monaten und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, als sie Maruschka sahen, wie sie einen Veilchenstrauß trug; sie gingen, ihr die Tür zu öffnen, und der Duft der Veilchen ergoss sich durch die ganze Hütte.

»Wo hast Du sie gepflückt?« fragte Holena störrig.

»Hoch auf dem Berge, dort wuchsen ihrer unter Gesträuch in Menge,« erwiderte Maruschka.

Holena nahm die Veilchen, steckte sie hinter den Gürtel, roch an sie, und ließ die Mutter riechen; zur Schwester sagte sie nicht einmal: »Riech auch!«

Des andern Tages saß Holena müßig beim Ofen, und es gelüstete sie nach Erdbeeren. »Geh', Maruschka, bring' mir Erdbeeren aus dem Walde!« befahl Holena der Schwester.

»Ach Gott, liebe Schwester, wo werd' ich Erdbeeren finden! Hab' nie gehört, dass unter dem Schnee Erdbeeren wüchsen,« versetzte Maruschka.

»Du nichtsnutziges Ding, Du Kröte, Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich geh' in den Wald, und bringst Du keine Erdbeeren, wahrlich, so schlag' ich Dich tot!« drohte die böse Holena.

Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Thür hinaus, und schloss diese fest hinter ihr. Das Mädchen ging bitter weinend in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Die Arme irrte, irrte lange: Hunger plagte sie, Kälte schüttelte sie. Da gewahrt sie in der Ferne dasselbe Feuer, das sie den Tag zuvor gesehen. Mit Freuden eilte sie darauf zu. Sie kam wieder zu dem großen Feuer, um welches die zwölf Monate saßen. Der Eismonat saß obenan.

»Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, Kälte schüttelt mich,« bat Maruschka.

Der Eismonat nickte mit dem Haupte und fragte: »Warum bist Du wieder gekommen, was suchst Du?«

»Ich suche Erdbeeren,« entgegnete Maruschka.

»Es ist nicht an der Zeit, Erdbeeren zu suchen, wenn Schnee liegt,« sagte der Eismonat.

»Ich weiß wohl,« antwortete Maruschka traurig, »allein Schwester Holena und meine Stiefmutter haben mir befohlen, Erdbeeren zu bringen; bring' ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, Ihr Hirten, sagt mir, wo ich deren finde!«

Der Eismonat erhob sich, schritt zum Monat, der ihm gegenüber saß, gab ihm den Stab in die Hand und sprach: »Bruder Juni, setz' Dich obenan!«

Der schöne Monat Juni setzte sich obenan, und schwang den Stab über dem Feuer. In dem Augenblicke schlug die Flamme hoch empor, der Schnee zerschmolz alsbald, die Erde grünte, Bäume umhüllten sich mit Laub, Vögel begannen zu singen, mannigfaltige Blumen blühten im Walde und es war Sommer. Weiße Sternlein gab es, als ob sie wer dahin gesät hätte. Sichtbar aber verwandelten sich die weißen Sternlein in Erdbeeren, die Erdbeeren reiften schnell, und eh' sich Maruschka dessen versah, gab es ihrer in dem grünen Rasen, als ob wer Blut ausgegossen hätte.

»Schnell, Maruschka, pflücke!« gebot der Juni.

Maruschka pflückte freudig, bis sie die Schürze voll hatte. Dann dankte sie den Monaten schön, und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, als sie sahen, dass Maruschka in der That Erdbeeren bringe, die ganze Schürze voll. Sie liefen, ihr die Tür zu öffnen, und der Duft der Erdbeeren ergoss sich durch die ganze Hütte.

»Wo hast Du sie gepflückt?« fragte Holena störrig.

»Hoch auf dem Berge, dort wachsen ihrer in Fülle unter den Buchen,« erwiderte Maruschka.

Holena nahm die Erdbeeren, aß sich satt, und gab auch der Mutter zu essen; zu Maruschka sagten sie nicht einmal: »Kost' auch!«

Holena hatten die Erdbeeren geschmeckt, und es gelüstete sie des dritten Tages nach roten Äpfeln.

»Geh' in den Wald, Maruschka, und bring' mir rote Äpfel!« befahl sie der Schwester.

»Ach Gott, liebe Schwester, woher sollten im Winter Äpfel kommen?« versetzte die arme Maruschka.

»Du nichtsnutziges Ding, Du Kröte, Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich geh' in den Wald, und bringst Du keine roten Äpfel, wahrlich, so schlag' ich Dich tot!« drohte die böse Holena.

Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Thür hinaus, und schloss diese fest hinter ihr. Das Mädchen eilte bitter weinend in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Allein das Mädchen irrte nicht umher, es ging gerade auf den Gipfel des Berges, wo das große Feuer brannte, wo die zwölf Monate saßen. Sie saßen dort, der Eismonat saß obenan.

»Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer wärme, Kälte schüttelt mich,« bat Maruschka, und trat zum Feuer.

Der Eismonat nickte mit dem Haupte und fragte:

»Weshalb bist Du wieder gekommen, was suchst Du da?« – »Ich suche rote Äpfel,« antwortete Maruschka.

»Es ist nicht an der Zeit,« sagte der Eismonat.

»Ich weiß wohl,« entgegnete Maruschka traurig, »allein Schwester Holena und meine Stiefmutter haben mir befohlen, rote Äpfel aus dem Wald zu bringen; bring' ich sie nicht, so schlagen sie mich tot. Bitte schön, Ihr Hirten, sagt mir, wo ich deren finde!«

Da erhob sich der Eismonat, schritt zu einem der älteren Monate, gab ihm den Stab in die Hand, und sprach:

»Bruder September, setz' Dich obenan!«

Der Monat September setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. Das Feuer glühte rot, der Schnee verlor sich, aber die Bäume umhüllten sich nicht mit Laub, ein Blatt nach dem andern fiel ab, und der kühle Wind verstreute sie auf dem halben Rasen, eins dahin, das andere dorthin. Maruschka sah nicht so viele bunte Blumen. Am Talhng blühte Altmannskraut, blühten rote Nelken, im Thale standen gelbliche Eschen, unter den Buchen wuchs hohes Farrenkraut und dichtes Immergrün. Maruschka blickte nur nach roten Äpfeln umher, und sie gewahrte in der Tat einen Apfelbaum und hoch auf ihm zwischen den Zweigen rote Äpfel.

»Schnell, Maruschka, schüttle!« gebot der September.

Maruschka schüttelte freudig den Apfelbaum; es fiel ein Apfel herab. Maruschka schüttelte noch einmal; es fiel ein zweiter herab.

»Schnell, Maruschka, eile nach Hause!« gebot der Monat.

Maruschka gehorchte, nahm die zwei Äpfel, dankte den Monaten schön, und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Holena, es wunderte sich die Stiefmutter, als sie sahen, dass  Maruschka Äpfel bringe. Sie gingen ihr öffnen. Maruschka gab ihnen die zwei Aepfel.

»Wo hast Du sie gepflückt?«

»Hoch auf dem Berge; sie wachsen dort, und noch gibt's ihrer dort genug,« erwiderte Maruschka.

»Warum hast Du nicht mehr gebracht? Oder hast Du sie unterwegs gegessen?« fuhr Holena zornig gegen sie los.

»Ach liebe Schwester, ich habe keinen Bissen gegessen. Ich schüttelte einmal, da fiel ein Apfel herab; ich schüttelte zum zweiten Mal, da fiel noch einer herab; länger zu schütteln erlaubten sie mir nicht. Sie hießen mich nach Hause gehen,« sagte Maruschka.

»Dass der Donner in Dich fahre!« fluchte Holena, und wollte Maruschka schlagen.

Maruschka brach in Tränen aus, und bat Gott, er solle sie lieber zu sich nehmen, und sie nicht von der bösen Schwester und Stiefmutter erschlagen lassen. Sie floh in die Küche. Die genäschige Holena ließ das Fluchen und begann einen Apfel zu essen. Der Apfel schmeckte ihr so, dass sie versicherte, noch niemals in ihrem Leben so was Köstliches gegessen zu haben. Auch die Stiefmutter ließ sich's schmecken. Sie aßen die Äpfel auf, und es gelüstete sie nach mehr.

»Mutter, gib mir meinen Pelz! ich will selbst in den Wald gehen,« sagte Holena. »Das nichtsnutzige Ding würde sie wieder unterwegs essen. Ich will schon den Ort finden, und sie alle herabschütteln, ob es wer erlaubt oder nicht!«

Vergebens riet die Mutter ab. Holena zog den Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf, und eilte in den Wald. Die Mutter stand auf der Schwelle, und sah Holena nach, wie es ihr gehe.

Alles lag voll Schnee, nirgend war eine Fußstapfe zu schauen. Holena irrte, irrte lange; ihre Genäschigkeit trieb sie immer weiter. Da gewahrt sie in der Ferne ein Licht. Sie eilt darauf zu. Sie gelangt auf den Gipfel, wo das Feuer brennt, um das auf zwölf Steinen die zwölf Monate sitzen. Holena erschrickt; doch bald fasst sie sich, tritt näher zu dem Feuer, und streckt die Hände aus, um sich zu wärmen. Sie fragt die Monate nicht:

»Darf ich mich wärmen?« und spricht kein Wort zu ihnen.

»Was suchst Du hier, warum bist Du hergekommen!« fragt verdrießlich der Eismonat.

»Wozu fragst Du, Du alter Thor? Du brauchst nicht zu wissen, wohin ich gehe!« fertigt ihn Holena störrig ab, und wendet sich vom Feuer in den Wald.

Der Eismonat runzelt die Stirn, und schwingt seinen Stab über dem Haupte. In dem Augenblicke verfinstert sich der Himmel, das Feuer brennt niedrig, es beginnt Schnee zu fallen, als ob wer ein Federbett ausschüttelte, eisiger Wind weht durch den Wald. Holena sieht nicht einen Schritt vor sich; sie irrt und irrt, und stürzt in eine Schneewehe, und ihre Glieder ermatten, erstarren. Unaufhörlich fällt Schnee, eisiger Wind weht, Holena flucht der Schwester, flucht dem lieben Gott. Ihre Glieder erfrieren in dem warmen Pelz.

Die Mutter harrte auf Holena, blickte zum Fenster hinaus, blickte zur Thür hinaus, konnte aber die Tochter nicht erharren. Stunde auf Stunde verstrich, Holena kam nicht.

»Vielleicht schmecken ihr die Äpfel so gut, dass sie sich nicht von ihnen trennen kann,« dachte die Mutter, »ich muß nach ihr sehen!«

Sie zog ihren Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf, und ging, Holena zu finden. Alles lag voll Schnee, nirgend war eine Fußstapfe zu schauen. Sie rief Holena; niemand meldete sich. Sie irrte, irrte lange; Schnee fiel dicht, eisiger Wind wehte, Maruschka kochte das Essen, besorgte die Kuh; doch weder Holena, noch die Stiefmutter kam.

»Wo bleiben sie so lange!« sprach Maruschka zu sich, und setzte sich zum Spinnrocken. Schon war die Spindel voll, schon dämmerte es in der Stube, und es kam weder Holena, noch die Stiefmutter.

»Ach Gott, was ist ihnen zugestoßen?« klagte das gute Mädchen, und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel strahlte von Sternen, die Erde glänzte von Schnee, es ließ sich niemand sehen; traurig schloss Maruschka das Fenster, machte das Kreuz, und betete ein Vaterunser für die Schwester und Mutter. Des andern Tages harrte sie mit dem Frühstück, harrte sie mit dem Mittagsmahl; doch sie erharrte weder Holena, noch die Stiefmutter. Beide waren im Wald erfroren. Der guten Maruschka blieb die Hütte, die Kuh und ein Stückchen Feld; es fand sich auch ein Hauswirt dazu, und Beide lebten in Frieden glücklich mit einander.

Dieser westslawische Märchenschatz ist von hat Joseph Wenzig (1807-1876).

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Donnerstag, 29. Dezember 2022

Am Ende des alten Jahres

 

 

Jetzt am Ende des alten Jahres ist es an der Zeit danke zu sagen.

Danke:

Für jeden Tag, an dem wir frohe Stunden und Glücksmomente erleben durften.

Für jeden Tag, an dem wir gesund waren und Zeit

für unsere Lieben und unsere Freunde hatten.

Für jeden Tag, an dem wir lachen und träumen konnten.

Für jeden Tag, an dem wir Zeit hatten, innezuhalten und nachzudenken.

Für jeden Tag, an dem wir tun konnten, was wir gerne tun

und was uns guttut.

Für jeden Tag, an dem wir geliebt haben und geliebt wurden.

Für jeden Tag, an dem wir frei von Sorgen und zufrieden waren.

Danke für jeden Tag, an dem wir das Geschenk LEBEN

genießen durften!

 

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Ein frohes, glückliches und gesundes neues Jahr 2023
 
 
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Bild: Pixabay

Sonntag, 25. Dezember 2022

Stille Nacht

 


 Stille Nacht, heilige Nacht
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
nur das traute hoch heilige Paar.
"Holder Knabe im lockigen Haar,
schlaf in himmlischer Ruh',
schlaf in himmlischer Ruh'!"
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
lieb' aus deinem göttlichen Mund,
da uns schlägt die rettende Stund':
Jesus in deiner Geburt.
Jesus in deiner Geburt.
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
aus des Himmels goldenen Höh'n
uns der Gnade Fülle lässt sehn:
Jesum in Menschengestalt.
Jesum in Menschengestalt.
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heut' alle Macht
väterlicher Liebe ergoss,
und als Bruder huldvoll umschloss
Jesus die Völker der Welt.
Jesus die Völker der Welt.
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
als der Herr, vom Grimme befreit,
in der Väter urgrauer Zeit
aller Welt Schonung verhieß,
aller Welt Schonung verhieß.
Stille Nacht, heilige Nacht,
Hirten erst kundgemacht!
durch der Engel Halleluja
tönt es laut von Ferne und Nah:
Jesus, der Retter ist da!
Jesus, der Retter ist da!
 

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Freitag, 23. Dezember 2022

Der Stern der Mitte

 

Ein Weihnachtsmärchen von Paula Dehmel

Ein weiser Mann aus dem Morgenland hatte nach Jahren mühseliger Arbeit aus den Gesteinen der Erde einen Stern zusammengesetzt, in dem die feinsten Kräfte des Lebens gebannt waren. Was dem Weisen Schönes und Wertvolles begegnet war, hatte er in Kristallen verwandelt und dem Sterne eingefügt.

Als der Wunderstern vollendet war, ließ er auf der Landstraße, die von Mekka nach Medina führt, eine prächtige Schau- und Kaufhalle errichten. Hoch oben in der Kuppel befestigte er seinen Stern. Um ihn herliefen goldene Lettern, die in einer fremden Sprache folgenden Spruch trugen:

Weib oder Mann,

sieh mich gläubig an,

dann leuchtet tief,

was verborgen schlief,

dann wird zum Kern der Dinge Gestalt,

dann wird zur Ohnmacht fremde Gewalt,

dann wird zum Helden das Kind, der Tor,

dann klimmt ein Mensch zu Gott empor!

Tausende von Wanderer kamen täglich durch die Wunderhalle und bestaunten die Pracht und die Schätze, die der weise Mann darin aufgehäuft hatte. Sie betasteten das künstliche Gitterwerk vor den Schaukästen, die farbenprächtigen Teppiche an den Wänden, die herrlichen Sammlungen der Waffen und edlen Gesteine in den Nischen - jedoch den Stern hoch oben in der Deckenwölbung sah niemand gläubig an. Wohl streifte ab und zu ein halber Blick den hellen Fleck, aber man hielt ihn für wertloses Glas, und niemandes Auge blieb an ihm haften. Immer kehrten die Blicke in die prächtige Halle unten zurück. Da hingen auch zwei große Bilder an den Wänden. Vor diesen Bildern stand die Menge immer dichtgedrängt mit Staunen und Geflüster.

Das eine Bild stellte den Tod dar, wie er an einer langen Kette vorbeimarschierte und mit der Sense einem Soldaten nach dem andern den Kopf abschlägt. Die Soldaten aber - und das war grausig anzusehen - standen alle stramm wie auf dem Kasernenhof, und die ihren Kopf noch hatten, machten die Augen zu. Vorn, auf dem Feuer einer platzenden Granate, saß grinsend der Teufel und schwenkte sein rotes Fähnchen.

Das Bild auf der andern Seite war ein Gastmahl in einer offenen Veranda. Eine Menge schön geputzter Herren und Damen saßen da zu Tische. Erlesene Speisen und edle Weine standen vor ihnen. Sie aßen und lachten miteinander und warfen Knochen und Brotstücke über die Brüstung. Draußen standen viele arme Leute und fingen die Brocken auf; einige mit Hass in den Augen, andere mit tiefer Verbeugung. Daneben standen etliche, die sahen traurig oder ingrimmig zu, und einer ballte die Faust nach dem Tisch mit den Speisen.

Diese beiden Bilder zogen die Menschen immer wieder machtvoll an, aber der Weise aus dem Morgenland sah kopfschüttelnd zu; die Halle war schon seit Jahren fertig, und noch kein Pilger hatte den Stern der Decke gläubig angesehen.

Da kam eines Tages ein Findelkind der Armut in das Gewölbe. Heimatlos und elternlos war der Knabe ausgezogen, aber Augen waren voll Sonne und sein Herz voll Güte. Er sang in den blauen Himmel hinein, und sein trocknes Brot mundete ihm wie köstliches Manna. Ehrfurchtsvoll trat er in das hohe Tor, ließ seine staunenden Blicke langsam durch das Gewölbe gleiten und sah entzückt auf zur Kuppel. Da war ihm, als ob das ganze Bauwerk fern oben in der Mitte zusammenfloss, und als ob sich goldene Ströme in langen Bahnen aus dem leuchtenden Sterne in die Halle zurück ergössen. Immer wieder sah er hinab - hinauf - seine Augen wurden weit vor staunender Erkenntnis, und wie zum Gebet schlossen sich seine Hände.

 Da erfüllte sich das Wunder, das dem Sterne innewohnte: Er fing an sich zu drehen und dem Knaben sein verborgenes Farbenspiel zu zeigen. Weich und glühend dehnten sich seine bunten Kreise durch das Gewölbe; und was sie berührten, wurde von eigenem Leben erfüllt oder kristallen durchsichtig und offenbarte dem Beschauer sein innerstes Wirken. Da faltete der einsame Knabe gläubig die Hände und betete: "Gelobt sei Allah!"

Wie ein Träumender ging er zuerst durch das Gewimmel der anderen Pilger; sie wichen scheu vor ihm, er aber merkte es nicht.

Bald jedoch erfüllte sich die Verheißung des Weisen an ihm; es war, als ob ein geheimes Licht in Menschen und Dinge hineinleuchtete. So sah er vieles, was den andern verborgen war, und was er selbst nie vorher gesehen hatte. Auch die Bilder in der Halle sah er mit neuen Augen. Auf dem Bilde mit den geköpften Soldaten erblickte er hinter allen Gräueln den Friedensengel; und auf dem Bilde der Reichen und Armen sah er den Geist der Gerechtigkeit, der eben das Schwert aus der Scheide zog. Fern aber, zwischen beiden Bildern, tat sich ihm die Wand auf, und er sah ein neues Land in der Dämmerung liegen, wo stolze, gesunde Menschen ihrem Tagewerk und ihrer Muße nachgingen.

Und er sah das Lebendige und das Tote, und erkannte, dass ein Weizenkorn mehr sei als ein Goldkorn.

Und sah den Krieg und die Bitternis, und wusste, dass der Frieden ihr letztes Kind sein würde.

Und er sah, dass der Tod nur ruhendes Leben und das Endliche nur ein Widerspiel des Unendlichen ist.

Und er wuchs und tat seinen Mund auf und sagte den Pilgern, was er sah.

Und es ging ein Leuchten von ihm aus, sodass sie ihm glaubten und ihm anhingen.

Er hatte den Stern in der Mitte gläubig angesehen.


Paula Dehmel ( 1862 bis 1918 ) 
 
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Bild: Pixabay
 

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Väterchen Frost

 


Es war einmal vor langer Zeit in einem weit entfernten Land ein Mann mit seiner Frau.
Beide waren bereits zuvor verheiratet gewesen, doch ihre früheren Eheleute waren
gestorben und so hatten sie wieder geheiratet. Beide hatten aus ihrer früheren Ehe je
eine Tochter. Die Tochter der Frau war böse und gemein, während die Tochter des Mannes
lieb und sanft war. Die Frau liebte nur ihre eigene Tochter und ließ ihre Stieftochter
den ganzen Tag hart arbeiten. Das Mädchen musste das ganze Haus alleine putzen und
wurde von der Stiefmutter oft geschlagen. Doch dennoch hasste die Frau die Tochter des
Mannes von Tag zu Tag mehr. Eines Tages, mitten in einem harten, kalten Winter,
beschloss die Stiefmutter, dass das arme Mädchen in den tiefen Wald gebracht und sich
selbst überlassen werden sollte.
Der Vater des Mädchens wollte das natürlich nicht, doch seine Frau war so boshaft und
herrisch, dass er mittlerweile Angst vor ihr hatte, seine Tochter tatsächlich mit in
den Wald nahm und sie dort alleine ließ. Einsam und verlassen saß das Mädchen nun unter
einem Baum. Doch schon nach kurzer Zeit hörte sie ein Knacken von Zweigen und kurz
darauf eine Stimme, die sprach: „Frierst Du, liebes Kind ?“ Das Mädchen erkannte die
Stimme als die von Väterchen Frost und antwortete: „Nein, Väterchen Frost. Mir ist nicht
kalt.“ Da fragte er sie nochmals und noch mal und kam näher und näher zu dem Kind. Das
Mädchen antwortete jedes Mal, dass ihr warm sei, doch das arme Kind dauerte dem Väterchen
Frost so sehr, dass er es in einen weichen, prächtigen Mantel wickelte, die ganze Nacht
wärmte und es am Morgen mit Geschenken überhäufte.
Dem Vater bedauerte seine böse Tat inzwischen und kam am nächsten Tag in den Wald zurück,
um seine Tochter zu retten und freute sich sehr, als er sie nicht nur lebendig, sondern
auch warm bekleidet und mit großen Reichtümern beladen fand. Beide kehrten nach Hause
zurück. Als sie wieder da waren und die Stiefmutter die Reichtümer des Mädchens sah,
wollte sie sofort, dass auch ihre eigene Tochter in den Wald gebracht und dort eine
Nacht verbringen solle. Natürlich hoffte sie, dass auch ihre Tochter reich beschenkt
zurückkommen würde.
Also ging der Mann in den Wald und ließ die Tochter der Frau dort zurück. Doch als er
sie am nächsten Morgen holen wollte, erschrak er. Nicht beladen mit Reichtum, sondern
kalt gefroren war der Leib des bösen Mädchens. Er brachte ihren Leichnam der bösen Frau
zurück, nahm seine eigene Tochter bei der Hand und zog von der bösen Stiefmutter für
immer fort. Und wenn er und das Mädchen nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
 
 
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Quelle: Russisches Volksgut aus der Sammlung von A. Afanasiew