Sonntag, 19. März 2023

Der alte Mann und der Hengst

 

Es war einmal ein alter Mann, der zur Zeit Laotses in einem kleinen chinesischen Dorf lebte. Der Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Ihr einziger Besitz war ein wunderschöner Hengst, um den sie von allen im Dorf beneidet wurden. Es gab schon unzählige Kaufangebote, diese wurden jedoch immer strickt abgelehnt. Das Pferd wurde bei der Erntearbeit gebraucht und es gehörte zur Familie, fast wie ein Freund.

Eines Tages war der Hengst verschwunden. Nachbarn kamen und sagten: "Du Dummkopf, warum hast du das Pferd nicht verkauft? Nun ist es weg, die Ernte ist einzubringen und du hast gar nichts mehr, weder Pferd noch Geld für einen Helfer. Was für ein Unglück!" Der alte Mann schaute sie an und sagte nur: "Unglück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Das Leben musste jetzt ohne Pferd weitergehen und da gerade Erntezeit war, bedeutete das unheimliche Anstrengungen für Vater und Sohn. Es war fraglich, ob sie es schaffen würden, die ganze Ernte einzubringen.

Ein paar Tage später war der Hengst wieder da, und mit ihm war ein Wildpferd gekommen, das sich dem Hengst angeschlossen hatte. Jetzt waren die Leute im Dorf begeistert. "Du hast recht gehabt", sagten sie zu dem alten Mann. Das Unglück war in Wirklichkeit ein Glück. Dieses herrliche Wildpferd als Geschenk des Himmels, nun bist du ein reicher Mann..." Der Alte sagte nur: "Glück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf über den wunderlichen Alten. Warum konnte er nicht sehen, was für ein unglaubliches Glück ihm widerfahren war? Am nächsten Tag begann der Sohn des alten Mannes, das neue Wildpferd zu zähmen und zuzureiten. Beim ersten Ausritt warf ihn dieses so heftig ab, dass er sich beide Beine brach. Die Nachbarn im Dorf versammelten sich und sagten zu dem alten Mann: "Du hast recht gehabt. Das Glück hat sich als Unglück erwiesen, dein einziger Sohn ist jetzt ein Krüppel. Und wer soll nun auf deine alten Tage für dich sorgen?' Aber der Alte blieb gelassen und sagte zu den Leuten im Dorf:

"Unglück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg,
man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Es war jetzt alleine am alten Mann, die restliche Ernte einzubringen. Zumindest war das neue Pferd soweit gezähmt dass er es als zweites Zugtier für den Pflug nutzen konnte. Mit viel Schweiß und Arbeit bis in die Dunkelheit sicherte er das Auskommen für sich und seinen Sohn.

Ein paar Wochen später begann ein Krieg. Der König brauchte Soldaten, und alle wehrpflichtigen jungen Männer im Dorf wurden in die Armee gezwungen. Nur den Sohn des alten Mannes holten sie nicht ab, denn den konnten sie an seinen Krücken nicht gebrauchen. "Ach, was hast du wieder für ein Glück gehabt!"' riefen die Leute im Dorf.

Der Alte sagte: "Mal sehen, denn wer weiß?
Aber ich vertraue darauf, dass das Glück am Ende bei dem ist, der vertrauen kann."
 
(Verfasser leider unbekannt)
 

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Bild: Pixabay
 

Dienstag, 14. März 2023

Nichts ist wie es scheint

 
Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden
Familie zu verbringen. Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln,
im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie
einen kleinen Platz im kalten Keller.

Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch in der Wand
und reparierte es. Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete der ältere Engel:
"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."



In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen,
aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen,
das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett schlafen,
wo sie gut schliefen.
Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel
den Bauern und seine
Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges Einkommen gewesen war,
lag tot auf dem Feld.


Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe
geschehen lassen können?

"Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm",
meinte er anklagend. "Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die Kuh sterben."
 "Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen", sagte der ältere Engel.
"Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in diesem Loch
in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen war und sein
glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand, sodass er es nicht finden konnte.

Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel des Todes,
um seine Frau zu holen.  Ich gab ihm die Kuh anstatt dessen.
"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."


Manchmal ist das genau das, was passiert, wenn die Dinge sich nicht als das entpuppen,
was sie sollten.
Wenn du Vertrauen hast, musst du dich bloß darauf verlassen,
dass jedes Ergebnis zu deinem Vorteil ist.
Du magst es nicht bemerken, bevor ein bisschen Zeit vergangen ist ...

(von lichtwerk)
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Samstag, 11. März 2023

Der Suchende

 

Es war einmal ein Suchender.
Er suchte nach einer Lösung für sein Problem,
konnte sie aber nicht finden.
Er suchte immer heftiger, immer verbissener,
immer schneller und fand sie doch nirgends.
Die Lösung ihrerseits war inzwischen schon ganz außer Atem.
Es gelang ihr einfach nicht, den Suchenden einzuholen,
bei dem Tempo, mit dem er hin- und herrannte,
ohne auch nur einmal zu verschnaufen oder sich umzusehen.

Eines Tages brach der Suchende mutlos zusammen,
setzte sich auf einen Stein, legte den Kopf in die Hände und
wollte sich eine Weile ausruhen.
Die Lösung, die schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte,
dass der Suchende einmal anhalten würde,
stolperte mit voller Wucht über ihn!
Und er fing auf, was da so plötzlich über ihn hereinbrach
und entdeckte erstaunt,
dass er seine Lösung in Händen hielt.

(Verfasser unbekannt)


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Freitag, 3. März 2023

Ein Waldmärchen

  Was ist Leben ?
Um diese Frage geht es heute am Waldesrand.

 
  
An einem schönen Sommertag um die Mittagszeit war große Stille am Waldesrand.
Die Vögel hatten ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt und alles ruhte.
Da streckte ein Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte:
"Was ist eigentlich das Leben?"
Alle waren betroffen über diese schwierige Frage. Im großen Bogen flog der Buchfink über die weite Wiese und kehrte zu seinem Ast im Schatten des Baumes zurück.
Die Heckenrose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: "Das Leben ist eine Entwicklung."
Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Er flog von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: "Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein."
Drunten im Gras mühte sich eine Ameise mit einem Strohhalm. zehnmal länger als sie selbst, und sagte: "Das Leben ist nichts anderes als Mühsal und Arbeit."


Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltenden Blume auf der Wiese zurück und meinte dazu: "Nein, das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen."
Wo so weise Reden geführt wurden, steckte auch der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und brummte: "Das Leben? Es ist ein Kampf im Dunkeln."
Nun hätte es fast einen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: "Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen." Dann zog er weiter zum Meer. Dort brandeten die Wogen und warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen und stöhnten: "Das Leben ist ein stets vergebliches Ringen nach Freiheit."
Hoch über ihnen zog majestätisch der Adler seine Kreise. Er frohlockte: "Das Leben, das Leben ist ein Streben nach oben." Nicht weit vom Ufer stand eine Weide. Sie hatte der Sturm schon zur Seite gebogen. Sie sagte: "Das Leben ist ein Sichbeugen unter einer höheren Macht."
Dann kam die Nacht. Mit lautlosen Flügeln glitt der Uhu über die Wiese dem Wald zu und krächzte: "Das Leben heißt: die Gelegenheit nutzen, wenn andere schlafen."
Und schließlich wurde es still in Wald und auf der Wiese.
Nach einer Weile kam ein junger Mann des Weges. Er setzte sich müde ins Gras, streckte dann alle viere von sich und meinte erschöpft vom vielen Tanzen und Trinken:
"Das Leben ist das ständige Suchen nach Glück und eine lange Kette von Enttäuschungen."
Auf einmal stand die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach:
 Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des neuen Tags bin,
so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit."
 

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(Autor leider unbekannt)
Bild: Pixabay