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Mittwoch, 24. Januar 2024

Die Wassernixe

Ein Märchen der Brüder Grimm
 

Ein Brüderchen und ein Schwesterchen spielten an einem Brunnen,
und wie sie so spielten, plumpsten sie beide hinein. Da war unten
eine Wassernixe, die sprach "jetzt habe ich euch, jetzt sollt ihr
mir brav arbeiten"' und führte sie mit sich fort. Dem Mädchen gab
sie verwirrten garstigen Flachs zu spinnen, und es musste Wasser
in ein hohles Fass schleppen, der Junge aber sollte einen Baum mit
einer stumpfen Axt hauen, und nichts zu essen bekamen sie als
steinharte Klöße. Da wurden zuletzt die Kinder so ungeduldig,
dass sie warteten, bis eines Sonntags die Nixe in der Kirche war,
da entflohen sie. Und als die Kirche vorbei war, sah die Nixe,
dass die Vögel ausgeflogen waren, und setzte ihnen mit großen
Sprüngen nach. Die Kinder erblickten sie aber von weitem, und das
Mädchen warf eine Bürste hinter sich, das gab einen großen
Bürstenberg mit tausend und tausend Stacheln, über den die Nixe
mit großer Müh klettern musste; endlich aber kam sie doch hinüber.
Wie das die Kinder sahen, warf der Knabe einen Kamm hinter sich,
das gab einen großen Kammberg mit tausendmal tausend Zinken, aber
die Nixe wusste sich daran festzuhalten und kam zuletzt doch drüber.
Da warf das Mädchen einen Spiegel hinterwärts, welches einen
Spiegelberg gab, der war so glatt, so glatt, dass sie unmöglich
darüber konnte. Da dachte sie 'ich will geschwind nach Haus gehen
und meine Axt holen und den Spiegelberg entzweihauen.' Bis sie
aber wiederkam und das Glas aufgehauen hatte, waren die Kinder
längst weit entflohen, und die Wassernixe musste sich wieder in
ihren Brunnen trollen.
 
 
 
~*~
 
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Bild: Pixabay
 

Mittwoch, 29. November 2023

Spuren im Sand

 

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen
war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur
zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
"Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du
mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am
meisten brauchte?"

Da antwortete er:
"Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie
allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen."
 
 
~*~

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Text: Margaret Fishback Powers
Bild mit 💗und KI erstellt by Sterntalerin

Dienstag, 8. August 2023

Der Fischer und der Stern

 
 
Es war einmal ein Fischer, der fuhr jede Nacht aufs Meer hinaus,
um seine Netze auszulegen. Früh am Morgen kehrte er zurück,
dann waren seine Netze voll mit Fischen.
Denn er kannte die Wege, die die großen Fischschwärme nahmen.
Selbst in der tiefsten Nacht fand er seinen Weg.
Er sah hinauf zu den Sternen, die über ihm am Himmel standen,
und ließ sich von ihnen den Weg zeigen.
Aber einmal kam eine Zeit, da war der Himmel
von Wolken verhangen. Dicker Nebel lag über dem Meer,
sodass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte.
Weder Sonne noch Mond noch Sterne ließen sich blicken.
Das war eine schlimme Zeit.
Denn der Fischer konnte nicht hinausfahren. Tag für Tag hoffte er,
dass sich der Nebel bald verziehen würde. Aber der Nebel blieb.

"Wenn ich wenigstens einen einzigen Stern sehen könnte",
dachte der Fischer," damit ich übers Meer finde".
Aber kein einziger Stern schaffte es,
den dichten Nebel zu durchdringen.
Da fasste der Fischer einen Entschluss.
"Ich werde mir einen eigenen Stern machen", dachte er.
Er ging in den Schuppen und schnitzte sich
aus einem alten Brett einen großen Stern.
Den hängte er an eine Stange.
Die Stange befestigte er an seinem Boot.
Als der Abend kam,
ruderte der Fischer hinaus aufs Meer.
Rings um ihn herum war dichter Nebel.
Aber vor ihm leuchtet sein Stern.
Er brauchte nur hinter ihm her zu rudern.
Am Morgen bemerkten die anderen Fischer,
dass sein Boot nicht an seinem Platz war.
Sie warteten auf ihn. Aber er kam nicht zurück.
Niemand hat ihn je wieder gesehen.
 
(Verfasser leider unbekannt)
 

~*~
 
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Foto: Pixabay

Samstag, 29. Juli 2023

Es war einmal......

 eine Gruppe von Fröschen, die einen Wettlauf machen wollten.

 
 
Ihr Ziel war es, die Spitze eines hohen Turmes zu erreichen.
Viele Zuschauer hatten sich bereits versammelt, um diesen Wettlauf zu sehen
und sie anzufeuern. Das Rennen konnte beginnen.
Ehrlich gesagt:
Von den Zuschauern glaubte niemand so recht daran, dass es möglich sei,
dass die Frösche diesen hohen Gipfel erreichen konnten.
Alles, was man hören konnte, waren Aussprüche wie:
"Ach, wie anstrengend!
Die werden sicher NIE ankommen!"
oder:
"Das können sie gar nicht schaffen, der Turm ist viel zu hoch!"
Die Frösche begannen, zu resignieren.
Außer einem, der kraftvoll weiter kletterte.
Die Leute riefen weiter:
"Das ist viel zu anstrengend! Das kann niemand schaffen!"
Immer mehr Frösche verließ die Kraft und sie gaben auf.
Aber der eine Frosch kletterte immer noch weiter.
ER wollte einfach nicht aufgeben!
Am Ende hatten alle aufgehört, weiterzuklettern,
außer diesem einen Frosch, der mit enormem Kraftaufwand als Einziger
den Gipfel des Turmes erreichte!
Jetzt wollten die anderen Mitstreiter natürlich wissen,
wie er das denn schaffen konnte!
Einer von ihnen ging auf ihn zu, um ihn zu fragen, wie er es geschafft hatte,
diese enorme Leistung zu bringen und bis ans Ziel zu kommen.
Es stellte sich heraus... Der Gewinner war TAUB!


Und die Moral von der Geschichte:
Höre niemals auf Leute, die die schlechte Angewohnheit haben,
immer negativ und pessimistisch zu sein,
denn sie stehlen dir deine schönsten Wünsche
und Hoffnungen, die DU in deinem Herzen trägst!
Denke immer an die Macht der Worte,
denn alles, was du hörst und liest,
beeinflusst dich in deinem Tun!

Also sei einfach taub, wenn dir jemand sagt, dass DU deine Träume
nicht realisieren kannst.

 
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Autor leider unbekannt
Bild: Pixabay

Sonntag, 19. März 2023

Der alte Mann und der Hengst

 

Es war einmal ein alter Mann, der zur Zeit Laotses in einem kleinen chinesischen Dorf lebte. Der Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn in einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes. Ihr einziger Besitz war ein wunderschöner Hengst, um den sie von allen im Dorf beneidet wurden. Es gab schon unzählige Kaufangebote, diese wurden jedoch immer strickt abgelehnt. Das Pferd wurde bei der Erntearbeit gebraucht und es gehörte zur Familie, fast wie ein Freund.

Eines Tages war der Hengst verschwunden. Nachbarn kamen und sagten: "Du Dummkopf, warum hast du das Pferd nicht verkauft? Nun ist es weg, die Ernte ist einzubringen und du hast gar nichts mehr, weder Pferd noch Geld für einen Helfer. Was für ein Unglück!" Der alte Mann schaute sie an und sagte nur: "Unglück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Das Leben musste jetzt ohne Pferd weitergehen und da gerade Erntezeit war, bedeutete das unheimliche Anstrengungen für Vater und Sohn. Es war fraglich, ob sie es schaffen würden, die ganze Ernte einzubringen.

Ein paar Tage später war der Hengst wieder da, und mit ihm war ein Wildpferd gekommen, das sich dem Hengst angeschlossen hatte. Jetzt waren die Leute im Dorf begeistert. "Du hast recht gehabt", sagten sie zu dem alten Mann. Das Unglück war in Wirklichkeit ein Glück. Dieses herrliche Wildpferd als Geschenk des Himmels, nun bist du ein reicher Mann..." Der Alte sagte nur: "Glück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg, man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf über den wunderlichen Alten. Warum konnte er nicht sehen, was für ein unglaubliches Glück ihm widerfahren war? Am nächsten Tag begann der Sohn des alten Mannes, das neue Wildpferd zu zähmen und zuzureiten. Beim ersten Ausritt warf ihn dieses so heftig ab, dass er sich beide Beine brach. Die Nachbarn im Dorf versammelten sich und sagten zu dem alten Mann: "Du hast recht gehabt. Das Glück hat sich als Unglück erwiesen, dein einziger Sohn ist jetzt ein Krüppel. Und wer soll nun auf deine alten Tage für dich sorgen?' Aber der Alte blieb gelassen und sagte zu den Leuten im Dorf:

"Unglück - Mal sehen, denn wer weiß? Das Leben geht seinen eigenen Weg,
man soll nicht urteilen und kann nur vertrauen."

Es war jetzt alleine am alten Mann, die restliche Ernte einzubringen. Zumindest war das neue Pferd soweit gezähmt dass er es als zweites Zugtier für den Pflug nutzen konnte. Mit viel Schweiß und Arbeit bis in die Dunkelheit sicherte er das Auskommen für sich und seinen Sohn.

Ein paar Wochen später begann ein Krieg. Der König brauchte Soldaten, und alle wehrpflichtigen jungen Männer im Dorf wurden in die Armee gezwungen. Nur den Sohn des alten Mannes holten sie nicht ab, denn den konnten sie an seinen Krücken nicht gebrauchen. "Ach, was hast du wieder für ein Glück gehabt!"' riefen die Leute im Dorf.

Der Alte sagte: "Mal sehen, denn wer weiß?
Aber ich vertraue darauf, dass das Glück am Ende bei dem ist, der vertrauen kann."
 
(Verfasser leider unbekannt)
 

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Bild: Pixabay
 

Samstag, 11. März 2023

Der Suchende

 

Es war einmal ein Suchender.
Er suchte nach einer Lösung für sein Problem,
konnte sie aber nicht finden.
Er suchte immer heftiger, immer verbissener,
immer schneller und fand sie doch nirgends.
Die Lösung ihrerseits war inzwischen schon ganz außer Atem.
Es gelang ihr einfach nicht, den Suchenden einzuholen,
bei dem Tempo, mit dem er hin- und herrannte,
ohne auch nur einmal zu verschnaufen oder sich umzusehen.

Eines Tages brach der Suchende mutlos zusammen,
setzte sich auf einen Stein, legte den Kopf in die Hände und
wollte sich eine Weile ausruhen.
Die Lösung, die schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte,
dass der Suchende einmal anhalten würde,
stolperte mit voller Wucht über ihn!
Und er fing auf, was da so plötzlich über ihn hereinbrach
und entdeckte erstaunt,
dass er seine Lösung in Händen hielt.

(Verfasser unbekannt)


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Samstag, 25. Februar 2023

Das Hemd des Glücklichen

 

Ein König war krank und sagte: "Die Hälfte des Reiches gebe ich dem,
der mich gesund macht". Da versammelten sich alle Weisen und überlegten,
wie man den König gesund machen könne. Doch keiner wusste wie.
Nur einer der Weisen sagte, dass es möglich sei, den Herrscher zu heilen.
Er meinte: "Man muss einen glücklichen Menschen ausfindig machen,
dem das Hemd ausziehen und es dem König anziehen.
Dann wird der König gesund".

Und der König schickte überall hin, dass man in seinem weiten Reich
einen glücklichen Menschen suche. Aber die Beauftragten fuhren lange
im ganzen Reich umher und konnten keinen Glücklichen finden.
Nicht einen gab es, der zufrieden war. Wer reich war, war krank;
wer gesund war, war arm; wer gesund und reich war, der hatte ein
böses Weib, und bei dem und jenem stimmte es mit den Kindern nicht.
Über irgendetwas beklagten sich alle.

Aber einmal ging der Sohn des Königs spätabends an einer armseligen
Hütte vorbei und hörte jemanden sagen: "Gottlob, zu tun gab es heute
wieder genug, satt bin ich auch und lege mich nun schlafen.
Was braucht es mehr?"
Der Königssohn freute sich, befahl seinen Dienern, diesem Menschen
das Hemd auszuziehen und ihm dafür soviel Geld zu geben, wie er wolle,
und das Hemd gleich dem König zu bringen. Die Diener gingen eilends
zu dem glücklichen Menschen hin und wollten ihm das Hemd ausziehen.
Aber der Glückliche war so arm, dass er nicht einmal ein Hemd besaß!
 
Leo N. Tolstoi
 
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Bild: Pixabay

Freitag, 10. Februar 2023

Der goldene Schlüssel

 
 
Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, musste ein armer Junge
hinausgehen und Holz auf einem Schlitten holen. Wie er es nun
zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er, weil er so erfroren war, noch
nicht nach Haus gehen, sondern erst Feuer anmachen und sich ein bisschen
wärmen. Da scharrte er den Schnee weg, und wie er so den Erdboden aufräumte,
fand er einen kleinen goldenen Schlüssel. Nun glaubte er, wo der Schlüssel
wäre, müsste auch das Schloss dazu sein, grub in der Erde und fand ein
eisernes Kästchen. Wenn der Schlüssel nur passt! dachte er, es sind gewiss
kostbare Sachen in dem Kästchen. Er suchte, aber es war kein Schlüsselloch da,
endlich entdeckte er eins, aber so klein, dass man es kaum sehen konnte.
Er probierte, und der Schlüssel passte glücklich. Da drehte er einmal herum,
und nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen, und den Deckel
aufgemacht hat, dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen
in dem Kästchen lagen.

Gebr. Grimm
 
 
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Bild: Pixabay
 

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Väterchen Frost

 


Es war einmal vor langer Zeit in einem weit entfernten Land ein Mann mit seiner Frau.
Beide waren bereits zuvor verheiratet gewesen, doch ihre früheren Eheleute waren
gestorben und so hatten sie wieder geheiratet. Beide hatten aus ihrer früheren Ehe je
eine Tochter. Die Tochter der Frau war böse und gemein, während die Tochter des Mannes
lieb und sanft war. Die Frau liebte nur ihre eigene Tochter und ließ ihre Stieftochter
den ganzen Tag hart arbeiten. Das Mädchen musste das ganze Haus alleine putzen und
wurde von der Stiefmutter oft geschlagen. Doch dennoch hasste die Frau die Tochter des
Mannes von Tag zu Tag mehr. Eines Tages, mitten in einem harten, kalten Winter,
beschloss die Stiefmutter, dass das arme Mädchen in den tiefen Wald gebracht und sich
selbst überlassen werden sollte.
Der Vater des Mädchens wollte das natürlich nicht, doch seine Frau war so boshaft und
herrisch, dass er mittlerweile Angst vor ihr hatte, seine Tochter tatsächlich mit in
den Wald nahm und sie dort alleine ließ. Einsam und verlassen saß das Mädchen nun unter
einem Baum. Doch schon nach kurzer Zeit hörte sie ein Knacken von Zweigen und kurz
darauf eine Stimme, die sprach: „Frierst Du, liebes Kind ?“ Das Mädchen erkannte die
Stimme als die von Väterchen Frost und antwortete: „Nein, Väterchen Frost. Mir ist nicht
kalt.“ Da fragte er sie nochmals und noch mal und kam näher und näher zu dem Kind. Das
Mädchen antwortete jedes Mal, dass ihr warm sei, doch das arme Kind dauerte dem Väterchen
Frost so sehr, dass er es in einen weichen, prächtigen Mantel wickelte, die ganze Nacht
wärmte und es am Morgen mit Geschenken überhäufte.
Dem Vater bedauerte seine böse Tat inzwischen und kam am nächsten Tag in den Wald zurück,
um seine Tochter zu retten und freute sich sehr, als er sie nicht nur lebendig, sondern
auch warm bekleidet und mit großen Reichtümern beladen fand. Beide kehrten nach Hause
zurück. Als sie wieder da waren und die Stiefmutter die Reichtümer des Mädchens sah,
wollte sie sofort, dass auch ihre eigene Tochter in den Wald gebracht und dort eine
Nacht verbringen solle. Natürlich hoffte sie, dass auch ihre Tochter reich beschenkt
zurückkommen würde.
Also ging der Mann in den Wald und ließ die Tochter der Frau dort zurück. Doch als er
sie am nächsten Morgen holen wollte, erschrak er. Nicht beladen mit Reichtum, sondern
kalt gefroren war der Leib des bösen Mädchens. Er brachte ihren Leichnam der bösen Frau
zurück, nahm seine eigene Tochter bei der Hand und zog von der bösen Stiefmutter für
immer fort. Und wenn er und das Mädchen nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
 
 
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Quelle: Russisches Volksgut aus der Sammlung von A. Afanasiew

Dienstag, 24. August 2021

Nichts ist wie es scheint

 
 
Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden
Familie zu verbringen. Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln,
im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie
einen kleinen Platz im kalten Keller.

Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch
in der Wand und reparierte es. Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete
der ältere Engel: "Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."

In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen,
aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen,
das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett
schlafen, wo sie gut schliefen.
Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den
Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges
Einkommen gewesen war, lag tot auf dem Feld.

Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe
geschehen lassen können?
"Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm",
meinte er anklagend. "Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die
Kuh sterben."  "Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen",
sagte der ältere Engel.
"Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in
diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen
war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand,
sodass er es nicht finden konnte.

Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel
des Todes, um seine Frau zu holen.  Ich gab ihm die Kuh anstatt dessen.
"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."

Manchmal ist das genau das, was passiert, wenn die Dinge sich nicht als das
entpuppen, was sie sollten.
Wenn du Vertrauen hast, musst du dich bloß darauf verlassen,
dass jedes Ergebnis zu deinem Vorteil ist.
Du magst es nicht bemerken, bevor ein bisschen Zeit vergangen ist ...


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Bild: Pixabay
(Autor leider unbekannt)

Mittwoch, 7. April 2021

Der Esel

 


 Ein Vater reitet auf einem Esel und neben ihm läuft sein kleiner Sohn.
Da sagt ein Passant empört:
"Schaut euch den an. Der lässt seinen kleinen Jungen
neben dem Esel herlaufen".
Der Vater steigt ab und setzt seinen Sohn auf den Esel.
Kaum sind sie ein paar Schritte gegangen ruft ein anderer:
"Nun schaut euch die beiden an. Der Sohn sitzt wie ein Pascha
auf dem Esel und der alte Mann muss laufen".
Nun setzt sich der Vater zu seinem Sohn auf den Esel:
Doch nach ein paar Schritten ruft ein anderer empört:
"Jetzt schaut euch die Beiden an. So eine Tierquälerei".
Also steigen beide herab und laufen neben dem Esel her.
Doch sogleich sagt ein anderer belustigt:
"Wie kann man nur so blöd sein. Wozu habt ihr einen Esel,
wenn ihr ihn nicht nutzt."

(Autor unbekannt)

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Bildquelle: Pixabay

Montag, 15. Februar 2021

Drei Siebe

 

 
Ein Mann sagte zum weisen Sokrates:
"Höre, Sokrates, das muss ich dir unbedingt erzählen!"
"Halte ein!" unterbrach ihn der Weise, "hast du das, was du mir
sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?"
"Drei Siebe?", fragte der andere voller Verwunderung.
"Ja, guter Freund! Lass sehen, ob das, was du mir sagen willst,
durch die drei Siebe hindurchgeht: Das erste ist die Wahrheit.
Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft,
ob es auch wirklich wahr ist?"
"Nein, ich hörte es erzählen und ..."
"So, so! Aber sicher hast du es im zweiten Sieb geprüft.
Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst gut,
oder könnte es jemandem schaden?"
Zögernd sagte der andere: "Nein, im Gegenteil .."
"Hmmm", unterbrach ihn der Weise, "so lasst uns auch das dritte Sieb
noch anwenden. Ist es wirklich notwendig, dass du mir das erzählst?"
"Notwendig nun gerade nicht ..."
"Also, sagte lächelnd der Weise, "wenn es weder wahr noch gut
noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich
und mich nicht damit." 

(Autor unbekannt)

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Foto: Pixabay
 

Dienstag, 9. Februar 2021

Die Palme

 

 
Durch eine Oase ging ein finsterer Mann, Ben Sadok.
Er war so gallig in seinem Charakter,
dass er nichts Gutes und Schönes sehen konnte, ohne es zu verderben.
Am Rande der Oase stand eine junge Palme. Sie war schön gewachsen.
Das ärgerte Ben Sadok. Darum nahm er einen schweren Stein und
legte ihn der jungen Palme mitten in die Krone. Mit einem bösen Lachen
ging er fort. Die Palme schüttelte sich und bog sich und versuchte,
die Last abzuwerfen. Doch vergebens. Zu fest saß der Stein in ihrer Krone.
Da krallte sich die Palme fest in den Boden,  schickte ihre Wurzeln so tief
in die Erde, dass sie die verborgenen Wasseradern in der Oase erreichten,
wuchs empor und stemmte dabei mit aller Kraft den schweren Stein hoch
und höher, bis die Krone mit den großen Palmenwedel über jeden Schatten
hinausreichte. Wasser aus der Tiefe und Sonnenglut aus der Höhe halfen
dem jungen Baum, trotz seiner schweren Last eine königliche Palme zu werden.
Nach vielen Jahren kam Ben Sadok wieder. Schadenfroh wollte er den
verkrüppelten Baum sehen, den er, wie er meinte, verdorben hatte.
Er suchte ihn, aber er  fand ihn nicht. Da senkte die stolzeste und höchste
aller Palmen ihre Krone, zeigte ihm den Stein und sagte:
Ich danke dir, Ben Sadok. Deine Last hat mich stark gemacht.

Quelle:
Ein afrikanisches Märchen
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Foto: Pixabay

Dienstag, 24. November 2020

Vom Märchen und der Wahrheit


Die Wahrheit ging durch die Straßen ganz nackt, wie am Tag ihrer Geburt.

Kein Mensch wollte sie in sein Haus einlassen. Jeder, der sie traf,

flüchtete voller Angst vor ihr. Eines Tages ging die Wahrheit wieder

in Gedanken versunken durch die Straßen. Sie war sehr betrübt und verbittert.

Da begegnete sie dem Märchen. Das Märchen war geschmückt mit herrlichen,

prächtigen und vielfarbigen Kleidern, die jedes Auge und jedes Herz entzückten.

Da fragte das Märchen die Wahrheit: "Sage mir, geehrte Freundin

warum bist du so bedrücktund drehst dich auf den Straßen so betrübt herum?

Da antwortete ihm die Wahrheit: "Es geht mir sehr schlecht.Ich bin alt und betagt

und kein Mensch will mich kennen."

Hierauf erwiderte ihr das Märchen:

"Nicht weil du alt bist, lieben dich die Menschen nicht. 

Auch ich bin sehr alt, und je älter ich werde, desto mehr lieben mich die Menschen.

Siehe, ich will dir das Geheimnis enthüllen: Sie lieben es, dass jeder geschmückt ist

und sich ein wenig verkleidet. Ich werde dir solche Kleider borgen,

mit denen ich angezogen bin, und du wirst sehen, dass die Leute auch dich lieben werden."

Die Wahrheit befolgte diesen Rat und schmückte sich mit den Kleidern des Märchens.

Seit damals gehen Wahrheit und Märchen zusammen,

und beide sind bei den Menschen beliebt.

(Jüdisches Volksmärchen)


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Bild: Pixabay