Dienstag, 24. August 2021

Nichts ist wie es scheint

 
 
Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden
Familie zu verbringen. Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln,
im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie
einen kleinen Platz im kalten Keller.

Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch
in der Wand und reparierte es. Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete
der ältere Engel: "Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."

In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen,
aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen,
das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett
schlafen, wo sie gut schliefen.
Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den
Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges
Einkommen gewesen war, lag tot auf dem Feld.

Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe
geschehen lassen können?
"Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm",
meinte er anklagend. "Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die
Kuh sterben."  "Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen",
sagte der ältere Engel.
"Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in
diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen
war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand,
sodass er es nicht finden konnte.

Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel
des Todes, um seine Frau zu holen.  Ich gab ihm die Kuh anstatt dessen.
"Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen."

Manchmal ist das genau das, was passiert, wenn die Dinge sich nicht als das
entpuppen, was sie sollten.
Wenn du Vertrauen hast, musst du dich bloß darauf verlassen,
dass jedes Ergebnis zu deinem Vorteil ist.
Du magst es nicht bemerken, bevor ein bisschen Zeit vergangen ist ...


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Bild: Pixabay
(Autor leider unbekannt)

Sonntag, 15. August 2021

Ein Weiser


  Ein Weiser wurde gefragt, welches die wichtigste Stunde sei,
die der Mensch erlebt, welches der bedeutendste Mensch,
der ihm begegnet, und welches das notwendigste Werk sei.
Die Antwort lautet: Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart,
der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht,
und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.
 

Meister Eckhart

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Dienstag, 3. August 2021

Die Sterne


Wenn sich die Nacht zaghaft mit euch besteckt,
wie eine dunkle Tänzerin den seide-
weichen Leib mit spärlichem Geschmeide,
wenn ihr gleich brennendem Staub den Himmel deckt

und leuchtend in das Nichts hinüberleckt,
fliegt wohl von dieser dürren Lämmerheide
und abgegrasten Trübsalsrinderweide
die Seele lechzend zu euch hoch und reckt

der Sehnsucht Fackel hoch in euch empor,
bis sie vom Weine der Unendlichkeiten
trunken taumelt und ein wirrer Flor

sich um die Sinne legt –: aus euren Weiten,
die ewig grenzenlos ich hochbeschwor,
fall ich zurück in Staub und Sterblichkeiten.

Gustav Sack


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Sonntag, 1. August 2021

Sommerabend

 

Dämmernd liegt der Sommerabend
Über Wald und grünen Wiesen;
Goldner Mond, im blauen Himmel,
Strahlt herunter, duftig labend.

An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hört ein Plätschern
Und ein Atmen in der Stille.

Dorten an dem Bach alleine,
Badet sich die schöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich
Schimmern in dem Mondenscheine.

Heinrich Heine

 
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Samstag, 24. Juli 2021

Unter Sternen

 

Wende dich, du kleiner Stern,
Erde! wo ich lebe,
Dass mein Aug', der Sonne fern,
Sternenwärts sich hebe!

Heilig ist die Sternenzeit,
Öffnet alle Grüfte;
Strahlende Unsterblichkeit
Wandelt durch die Lüfte.

Mag die Sonne nun bislang
Andern Zonen scheinen,
Hier fühl' ich Zusammenhang
Mit dem All' und Einen!

Hohe Lust! im dunkeln Tal,
Selber ungesehen,
Durch den majestät'schen Saal
Atmend mitzugehen!

Schwinge dich, o grünes Rund,
In die Morgenröte!
Scheidend rückwärts singt mein Mund
Jubelnde Gebete

Gottfried Keller


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Bild: Pixabay


Donnerstag, 22. Juli 2021

Die Sternseherin Lise


Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern' am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut
Als Lämmer auf der Flur;
In Rudeln auch, und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur.

Und funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön;
Ich seh’ die große Herrlichkeit
Und kann mich satt nicht sehn….

Dann saget unterm Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust:
“Es gibt was Bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach,
Und suche es in meinem Sinn:
Und sehne mich darnach.

Matthias Claudius

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Montag, 12. Juli 2021

Glück

 

 

Ist es nicht ein Glück,

in dieser Welt zu leben,

eine Blume zu betrachten,

eine wandernde Wolke,

einem Vogel zu lauschen,

den Zug der Gestalten zu bewundern,

ihr drängen und Glühen,

ihren heimlichen Atem !

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Ernst von Bergmann


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