Donnerstag, 22. Juli 2021

Die Sternseherin Lise


Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern' am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut
Als Lämmer auf der Flur;
In Rudeln auch, und aufgereiht
Wie Perlen an der Schnur.

Und funkeln alle weit und breit
Und funkeln rein und schön;
Ich seh’ die große Herrlichkeit
Und kann mich satt nicht sehn….

Dann saget unterm Himmelszelt
Mein Herz mir in der Brust:
“Es gibt was Bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.“

Ich werf mich auf mein Lager hin,
Und liege lange wach,
Und suche es in meinem Sinn:
Und sehne mich darnach.

Matthias Claudius

~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Montag, 12. Juli 2021

Glück

 

 

Ist es nicht ein Glück,

in dieser Welt zu leben,

eine Blume zu betrachten,

eine wandernde Wolke,

einem Vogel zu lauschen,

den Zug der Gestalten zu bewundern,

ihr drängen und Glühen,

ihren heimlichen Atem !

*

Ernst von Bergmann


~*~
 
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~




Donnerstag, 1. Juli 2021

Der Blick zu den Sternen

 


 Blicke oft zu den Sternen empor –

als wandelst du mit ihnen.

 Solche Gedanken reinigen die Seele

von dem Schmutz des Erdenlebens.

Marc Aurel

~*~

 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Sonntag, 27. Juni 2021

Kluge Sterne

 

Die Blumen erreicht der Fuß so leicht,
Auch werden zertreten die meisten;
Man geht vorbei und tritt entzwei
Die blöden wie die dreisten.

Die Perlen ruhn in Meerestruhn,
Doch weiß man sie aufzuspüren;
Man bohrt ein Loch und spannt sie ins Joch,
Ins Joch von seidenen Schnüren.

Die Sterne sind klug,
Sie halten mit Fug
Von unserer Erde sich ferne;
Am Himmelszelt, als Lichter der Welt,
Stehn ewig sicher die Sterne.

Heinrich Heine

~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Freitag, 18. Juni 2021

Der Zauber der Bohnen

 
Einst lebte ein Graf, der war ein Lebensgenießer par excellence.
Kein Wunder, dass er sehr, sehr alt wurde.

Sein Geheimnis:

Er verließ niemals das Haus, ohne eine Handvoll Bohnen einzustecken.
Für jede Kleinigkeit, die ihn tagsüber erfreute - zum Beispiel
eine Blume am Wegrand, einen fröhlichen Plausch,
schöne Musik aus einem Fenster,
ein glänzender Käfer auf einem leuchtenden Blatt,
eine weiße Wolke, den Gesang eines Vogels,
einen wahren Satz in einem Buch, ein Glas Wein,
ein herzliches Wort - für alles, was die Sinne und das Herz erfreut,
ließ er eine Bohne von der rechten in die linke Jackettasche wandern.
Abends saß er zu Hause und zählte die Bohnen aus der linken Tasche.
Er zelebrierte diese Minuten.
So führte er sich vor Augen, wie viel Schönes ihm an diesem Tag
Wiederfahren war und freute sich nochmals.
Sogar, wenn er bloß eine Bohne zählte, war der Tag gelungen

- es hatte sich zu leben gelohnt.

 Autor unbekannt
 

~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Mittwoch, 9. Juni 2021

Wenn die Elfchen tanzen

  

Sieh dort auf dem Wiesengrunde

tanzen jetzt die Elfchen munter

unterm Rosenbusch hinunter.

Der die Blätter niederstreut.

Elfchen spielen Lotto heut,

schreiben auf die Blätter Nummern,

ja, du darfst nur kühnlich schlummern,

denn dein Glück kommt dir im Schlummer.


Clemens Brentano

~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Dienstag, 1. Juni 2021

Warten können

  

Es beweist ein großes Herz mit Reichtum an Geduld,

wenn man nie in eiliger Hitze, nie leidenschaftlich ist.

Erst sei man Herr über sich, so wird man es nachher über andere sein.

Nur durch die weiten Räume der Zeit

gelangt man zum Mittelpunkt der Gelegenheit.

Weise Zurückhaltung bringt die richtigen, lange geheim

zu haltenden Beschlüsse der Reife.

Baltasar Gracián

~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~